Die Horen
Hora bedeutet die richtige Zeit. Horai trügen und täuschen
nicht. Sie bringen und geben die Reife an, kommen und gehen nach der festen
Regel der Periodizitäten der Natur und des Lebens.
Die Horen sind Töchter des Zeus und der Themis (Ordnung). Der Name ist nicht mit "Stunden", sondern "Jahreszeiten" verbunden. Die Zahl der Jahreszeiten schwankte zwischen zwei und vier, meistens gab es drei (Frühling, Herbst und Sommer).
Sie waren Himmelswächterinnen, die die Wolken vom Tor des Olymp
beiseite rollten, wenn die Götter in ihren Wagen ausfahren wollten.
Dieses Öffnen und Schließen des Himmels wurde auch mit Wetteränderungen
in Verbindung gebracht, die dem Gedeihen der Vegetation förderlich
sind.
Da sie für die segensreiche Ordnung der Jahreszeiten verantwortlich
sind, werden sie zu Vorsteherinnen aller segensreichen Ordnung und Gesetzmäßigkeit
im menschlichen Leben und in der sittlichen Welt.
Bei Hesiod tragen sie ethische Bezeichnungen: Eunomia (Gesetz und Ordnung),
Dike (Gerechtigkeit) und Eirene (Friede). Eirene ist die heiterste
von allen und wird zur Mutter Plutos (Reichtum) und Genossin Dionysos,
zur Schutzgöttin heiterer Gesänge und Feste. Von Dike wird erzählt,
daß sie, als die Menschen sie nicht mehr achteten, die Erde verließ
und nun als Sternbild Jungfrau am Himmel erscheint.
Sie waren es, die die dem Meer entstiegene Aphrodite mit Gewändern umhüllten.
Iris
Iris, der Regenbogen, ist die Götterbotin. Sie ist die Tochter
des Titanen (1) Thaumas (Wunder) und der Okeanide Elektra (Goldglanz) und
Schwester der Harpyrien, Sturm- und Rachegöttinnen.
Der Regenbogen ist die Verbindung von Himmel und Erde, verheiratet
ist Iris mit dem Westwind Zephyros. Nach altem Glauben war sie es, die
die Wolken mit dem Wasser aus Seen und Flüssen speist, damit diese
es im Regen wieder auf die Erde fallen lassen. Möglicherweise also
ist sie eine alte Regengöttin, die im Regenbogen den Regen und die
Sonne segenbringend vereint.
Sie wohnt im Olymp bei Hera und Zeus und bringt von ihnen den Menschen und Göttern Nachricht. So war sie auch Führerin und Beraterin der Menschen. Sie ist schnell wie der Wind und reist auch in die Tiefe des Meeres, sogar bis zum Styx. Sie steht wohl in einem engeren Dienstverhältnis zu Hera, wie Hermes zu Zeus.
Wilamowitz-Möllendorf allerdings bestreitet, daß Iris eine Göttin der alten Griechen war und hält sie allenfalls für eine karische Göttin (2), wenn sie nicht sogar eine literarische Erfindung Homers ist.
Anm.:
(1) Titanen: von Zeus besiegtes älteres Göttergeschlecht
(2) Karien liegt in der heutigen Türkei und ist erst später
von Griechen besiedelt worden.
Die Moiren (oder Parzen)
Die Moiren sind die drei weiblichen Schicksalsgöttinnen. Sie waren wohl ursprünglich die, die die Geburt der Menschen beaufsichtigen und ihnen ihr Lebenslos zuteilen. "Parcae" (zu dem anderen Begriff "Parzen") bedeutet: die das Kind zur Welt bringen, morai: die Zumessenden, nach anderer Meinung: "Teil", der Anteil am Leben, der jedem zugeteilt ist. Für die Orphiker entsprach ihre Dreizahl den drei "Teilen" des Mondes.
Alle Moiren sind Töchter der Nacht (Nyx). Nyx ist eine der ältesten Göttinnen, viel älter als Zeus, den sie deshalb auch in seine Schranken wies, als er ihren Sohn Hypnos (den Schlaf) aus dem Olymp vertreiben wollte. Bei Homer hält Zeus eine im Gleichgewicht befindliche Waage, wirft das Los der Helden in eine Waagschale und sieht, wie sich die Waage hebt oder senkt. Auch dadurch erscheint er nicht als der schicksalsmächtige Gott, sondern als ein dem Schicksal gegenüber ohnmächtiger. Über die Moiren hat er keine Macht. Das Schicksal können auch die Götter nicht beeinflussen, "den Tod vermag auch die Gottheit von dem Manne den sie liebt nicht abzuwenden", sagt Athene in der Odyssee.
Walter F. Otto schreibt, daß die Gottheiten Griechenlands mit
der Lebensfülle eins sind, für die der Tod das Fremdeste ist.
Die todbringenden Moiren sind ihnen dieses Fremdeste, beide stehen
praktisch unverbunden nebeneinander. Der Kult der Moiren ähnelt dem
der schlangenhaarigen, rasenden Töchter der Mutter Erde Gaia, den
Erinyen. Der Volksglaube wußte aber noch, daß die Moiren auch
segnen konnten. Sie besänftigen Demeter, als diese in Trauer und auf
der Suche nach der von Hades geraubten Persephone das Wachstum auf der
Erde vernichtete. Zeus haben sie die himmlische Themis, die gute Ratgeberin,
wohl ein anderer Name der Mutter Rhea, als erste, uranfängliche Gattin
zugeführt. So einseitig todbringend waren sie also nicht immer.
Die Moiren, die die Lebesspanne zumessen, sind Walterinnen einer heiligen
Ordnung und unerbittliche Rächerinnen ihrer Übertretung. Die
Götter vollziehen diese Ordnung. Verläßt eine Gottheit
den von ihm beschützten Helden oder entzieht ihm seinen Schutz, ist
dieser dem Tod geweiht.
Nicht alles ist Schicksal. Kommt ein Mensch vor der vom Schicksal bestimmten
Zeit dem Tod nahe, in einer Schlacht oder weil er einen Mord begehen will,
der schicksalhaft grausame Rache hervorruft, können die auf der Seite
des Lebens stehenden und das Schicksal wissenden Götter helfen. Einem
Menschen einen warnenden Gedanken schicken, das kann das Werk eines Gottes
sein. Handelt der Mensch dem entgegen, wird sein Sturz zu einem selbstverschuldeten.
Berühmt ist ihre Erscheinung bei der Geburt des Meleagros. Die ersten beiden Moiren weissagten ihm Tapferkeit und Ruhm, die dritte sagte, er werde sterben, sobald ein Holzscheit, das im Herd brannte, verglüht ist. Die Mutter Althaia nahm das Holzscheit heraus und verwahrte es. Sie warf es ins Feuer, nachdem er mehrere ihrer Brüder im Streit getötet hatte.
Apollon gelang es einmal, die Moiren zu überlisten, so daß
sie seinen Freund Admetos über die zugemessene Zeitspanne leben ließen.
Admetos, der Unbezwingliche, trug den Namen eines Unterweltkönigs
und wollte Hochzeit mit der schönen Alkestis halten, vermutlich eine
dem Unterweltskönig geziemende Schlangenhochzeit. Apollon betörte
die Moiren, die bei der Hochzeit zugegen waren, und schenkte ihnen Wein
ein, bis sie betrunken waren. Dann bat er sie um ein Hochzeitsgeschenk.
Die betrunkenen Moiren verdoppelten das kurze Leben des Admetos, unter
der Bedingung, daß jemand an dem Tag, der ihm zum Sterben bestimmt
war, freiwillig aus dem Leben ginge.
An jenem Tag verließ Apollon das Haus. Die greisen Eltern des
Admetos waren nicht bereit zu gehen, nur Alkestis, seine junge Frau. Nachdem
sie Abschied genommen hatte, kam Herakles in das Haus und wurde bewirtet,
als sei nichts geschehen. Erst nachdem Alkestis hinausgetragen wurde, erfuhr
er alles und rannte dem Leichenzug hinterher. In einem Ringkampf entriß
er dem Tod seine Beute.
Interessanterweise handeln also zwei der drei bekanntesten Geschichten um die Moiren von ihrer Rolle als Geburtsgöttinnen und nur in einer treten sie als Todesgöttinnen auf, bei der sie Gäste auf einer Hochzeitsfeier sind. Wir verbinden mit den Moiren nur den Tod, die düstere Alte, die den Lebensfaden durchtrennt. In der alten Überlieferung galten sie aber offenbar auch als segensreich bei Geburt und Hochzeit.
Den Moiren ganz ähnlich sind die drei nord-germanischen Nornen und die osteuropäisch-slawischen Zorja, auch hier spinnt eine den Faden, die zweite mißt ihn ab, die dritte durchtrennt ihn.
Hermes
Aristophanes bezeichnet ihn als den „menschenfreundlichsten und gaben
reichsten der Götter", Walter F. Otto nennt ihn den „heiter blickenden,
nie verlegenen Meister der guten Gelegenheit, den die Maßstäbe
des Stolzes und der Würde wenig kümmern..." Er ist der Gott der
Diebe, der Götterbote, ein Erfinder, Händler, Spieler, Feigling,
ein Magier, ein Bote und Diener.
Berühmt ist diese Geschichte, die Homer erzählt: Als Aphrodite
und Ares im Netz des göttlichen Schmieds Hephaistos zur Belustigung
der übrigen Götter gefesselt lagen, wurde Hermes von Apollon
gefragt, ob er mit Ares tauschen wolle. Hermes antwortete, er wolle sich
noch dreimal stärkere Fesseln anlegen und die Gegenwart aller Götter
und Göttinnen gerne gefallen lassen, für die Wonne in den Armen
der Aphrodite.
Sein Vater war- Zeus, seine Mutter Maia, eine der Pleiaden, die zu
den Jagdgefährtinnen der Artemis gezählt haben, und Hermes in
einer Berghöhle zur Welt gebracht hat.
Kaum war er geboren, erfand er die Leier und begann mit nächtlichen
Viehdiebstählen. Hermes war es, der den Göttern das erste Mal
Fleisch opferte. Er bestreitet vor Zeus (seinem Vater) die Anschuldigung
des bestohlenen Apollons, der ob des Meineids in gewaltiges Lachen ausbrach.
Er gibt dem Apollon die Leier und erhält dafür seinen Hirtenstab
sowie einen goldenen, Reichtum spendenden Stab.
Der Herr der Wege: Seinen Namen empfing er von den Steinhaufen an den Wegen, auf die der Vorübergehende einen Stein warf (auch Hekate war eine Herrin der Wege). Er beschützt die Wanderer, zu denen auch die Händler gehören.
Quellen:
Grant/Hazel, Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, München
1993 (Original 1973)
Peticus, Olymp, Holzminden, o.D. (Original 1873)
Mavromataki, Mythologie und Kulte Griechenlands, Athen 1997
Kerenyi, Die Mythologie der Griechen, München 1998 (Original
1966)
Otto, Die Götter Griechenlands, Frankfurt 2002 (Original 1934)
Wilamowitz-Moellendorf, Der Glaube der Hellenen, Darmstadt 1955
(Original 1931/32)
Homer, llias
Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, Hamburg 1960
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