Maat

Marion Kapsch


"Die in der Urzeit vom Himmel zur Erde herabgestiegene Göttin Maat" (Sethe 1929,63)

"Sie verbrüderte sich mit allen Göttern"

"Sie vereinigte sich mit den Irdischen"


Schriftzeichen: Das älteste Schriftzeichen für Maat ist ein Postament = der ägyptische Thronsockel, welcher eine stilisierte Form des Urhügels ist. Das übliche Ideogramm oder Determinativ für Ihren Namen war eine sitzende Göttin, um deren Haupt ein Band geschlungen war, in dem Ihr Wahrzeichen, die Straußenfeder steckte. Diese Feder konnte auch die Hieroglyphe ganz ersetzen und dann die Bedeutung "Wahrheit, Gerechtigkeit" haben.


Maat steht für Geradheit, Ebenheit, Kosmos, Ordnung, Recht, "das Rechte und Richtige", Gerechtigkeit, Wahrheit, Wirklichkeit. Sie wird "Tochter des Ra", "Auge des Ra", "Herrin des Himmels, Königin auf der Erde, Herrin der Westgegend (Unterwelt) und "Königin der Götter und Göttinnen" genannt. In der großen Namensliste von Edfu wird sie als Ka (Doppelgängerin, Seele) der Hathor verehrt. Sie erscheint als das "Gottesweib in Busiris" (des busirischen Osiris) wo dieser den Platz Ihres Gatten Thot einnimmt, wodurch sie auch mit Isis gleichgestellt wird. In einem sich auf den Nomos von Kusai beziehenden Text wird sie " Hathor-Isis, die Behüterin ihres Gottesbruders in Kusai" und " Hathor, die Herrin in Dendera, die Göttin Maat, die Königin in Kusai ", "Maat, die Grosse in dem Allerheiligsten, welche die Feinde ihrer Majestät gebunden hat" , - "die Königin der Weiber, von liebenswürdiger Anmut, die Wiegenfrau Nofrit (die Gute) unter den Göttinnen", " die tentyrische Hathor, die Herrin von Kusai", "Hathor, die Grosse, die Königin, die Herrin der Stadt Kusai". "Sie hat gefesselt die Gegner in ihr." - "Hathor-Sekhmet, welche sich ihrer Feinde bemächtigt hat."-"die Starke in Kusai, der schützende Talisman des Gottes Chont - Makes (Osiris)", genannt. In einem anderen Verzeichnis der Lokalformen der Göttin Hathor heisst sie "Sachmet, welche sich des Frevlers (Typhon/Seth) bemächtigt, das seine Bundesgenossen verzehrende Feuer". Als Maat-Hathor-Sachmet stellte die Göttin Maat eine andere Form der memphitischen Sachmet dar, was auch ihr Titel "Auge des Ra" belegt.


Genealogie der Maat

Maat = Hi-ka-qa-Chont-makes
Hathor-Isis-Sachmet = Osiris
Horus (Hor-merti)

(Brugsch, Religion u. Mythologie der alten Ägypter, 1891)


Lapislazuli, der "Stein der Wahrheit", war der Maat geweiht. Vielleicht erklärt die Bedeutung Ihres Namens , der sowohl "Wahrheit", als auch "Alles sehendes Auge" bedeutet, die weit verbreitete Auffassung, dass der Lapislazuli Augenkrankheiten heilen kann. Die Ägypter begruben Lapislazuli-Amulette mit ihren Mumien als Ersatz für das Herz, damit die Neuerschaffung im Jenseits gelinge.(Budge, Egyptian Magic,30) Richter und Hohepriester (Menschen, die für die Gerechtigkeit verantwortlich waren) trugen eine kleine Figur der Göttin aus Lapislazuli und Gold um den Hals. Gold stand bei den Ägyptern für das essentielle göttliche Leben. Maat war das ursprüngliche "Alles-sehende-Auge" und die "Mutter der Wahrheit"(Auch Hekate wurde so genannt). Ihr Name leitet sich von dem Zeitwort "sehen" ab. (Budge,EgyptianLanguage,55) Dies verbindet sie mit der frühsumerischen Augengöttin (3500-3000 v.Chr.), die auch den Geist des Gesetzes und der Wahrheit symbolisierte.

Sie hatte "alles sehende" Augen, denen kein Verbrechen verborgen blieb. Das Sternzeichen der Jungfrau wurde oftmals mit der Maat, sowie der lybischen Göttin der Wahrheit, Astraea (sternenhafte) gleichgesetzt, die bei den Römern als Inkarnation der Gerechtigkeit betrachtet wurde. Ihre Waage ging ebenfalls in den Tierkreis ein. Magische Schnüre, mit oder ohne Knoten, symbolisierten in der ägyptischen Unterwelt die Bindung des Gesetzes. Einige "Engel" trugen Gesetzesschnüre, die ihren Gehorsam gegenüber der Mutter Maat ausdrückten. Der Gott Ra sagte "Ihr Gesetz ist die Schnur in Amentet" (Budge, The Gods of the Egyptians, Bd.1,188)


Ihr Symbol, die weiße Straußenfeder, war im alten Ägypten von sakraler Bedeutsamkeit. Jede Seele wurde nach dem Tod auf einer Waage gegen die Feder der Maat aufgewogen. So zeigte sich, ob der/die Verstorbene zu schwer von Sünden belastet sei. "Leicht wie eine Feder" bedeutete, der Schuldenlast enthoben zu sein.

Wandmalereien und Papyri zeigen die Waage, die Anubis oder Maat selbst bewegen: Auf der einen Seite liegt die Feder, auf der anderen Seite das Hieroglyphensymbol für das Herz. Waren die Waagschalen ausbalanciert, sprach Osiris: "Da das Herz des Gestorbenen leicht war, lasst ihn gehen, auf dass er sich nach eigenem Willen unter die Götter und die Geister der Toten mische". Waren die Waagschalen nicht ausgeglichen, da das Herz schwer von Bösem war, wurde der Tote sofort von der Göttin Ahemait ("die Verschlingerin") , welche die Gestalt einer Mischung aus Flusspferd, Löwe und Krokodil hatte, gefressen. In der christlichen Ikonographie hat der Erzengel Michael die Rolle der Göttin Maat übernommen: Er wog die Seele eines jeden Menschen vor dem Thron Gottes. (Hall,188,208) Die Ägypter hatten, nach ihrem Glauben, sieben "Seelen". Eine davon war die "ab", die Herz-Seele, die wichtigste. Die ab war die Seele, die durch göttliches, lebendiges Blut vom Herzen der eigenen Mutter verliehen wurde, das vor der Geburt in ihren Schoss herabgekommen war. Diese ab war auch die Seele, welche nach dem Tod von der Maat auf der Waage gewogen wurde. In der Hieroglyphenschrift erschien die ab als kleine, tanzende Figur. Als Verbum bedeutete dieses Symbol denn auch "tanzen". (Budge, 44)


Der Herzschlag galt als "der innere Tanz des Lebens", solange dieser Tanz andauerte, ging auch das Leben weiter. In seiner Todesphase wurde Osiris "stilles Herz" genannt, weil er nicht mehr tanzte. Diese Vorstellung erinnert an den ewigen Tanz des Shiva oder der Kali, deren Tanz "im Mittelpunkt des Universums" stattfindet - und auch das ist das menschliche Herz. Für die Ägypter war das Herz das Organ, "mit dem die Maat erfasst" wurde. "Maat in das Herz geben" war eine häufige Wendung. Die Funktion der Speiseröhre, der Luftröhre und auch die Verrichtungen des Kehlkopfes werden ebenfalls der Maat zugeschrieben. (So wird Maat auch mit der Göttin Mert (Kehle) gleichgestellt, welche den Kultgesang und die Tempelmusik verkörpert.) "Jeder Mund ist versehen mit Maat", oder "Man lebt von der Maat" ist auch ganz konkret zu fassen, da sie tatsächlich auch "Nahrung", "Kehle" und "Speiseröhre" war. Wie der Brustschmuck mit seinen Bändern den Hals umarmt und an den Platz des Herzens gehängt wird,("die Maat an Ihren (richtigen) Platz setzen"), so ist die Maat die Kehle, die das Leben = Nahrung und Lebenshauch, dem Herzen vermittelt. Maat: "Ich bin zu dir gekommen. Ich habe deinen Hals geschmückt. Ich versehe deine Kehle mit mir selbst/mit meinem Leib. Deine Kehle ist es, die sich nicht von ihrem Sitzplatz entfernen wird. Unsere Brüste vereinigen sich miteinander." "Die Kehle des Gottes (Amun) mit dem geheimen Namen Maat." Sie ist selbst "Nahrung", wie auch "Lebenshauch", d.h., sie kann mit einem Wort als "das Leben" gelten. "Maat, die Grosse... die schöne Kehle, die den Göttern Leben zuführt, die Röhre, die den Göttinnen Speisen sendet" (Dendera) "Maat, die Tochter des Re, die mit Amun vereinigte, die Geliebte des Ptah, die die Brust des Thoth schmückt, Leben von dem (durch das) man lebt, groß an Süßigkeit, die Geliebte aller Götter." "Sie vereinigt sich mit den Körpergliedern des Gottes"

Nach ältester ägyptischer Vorstellung ist anscheinend die Speiseröhre mit dem Herzen verbunden. Die Hieroglyphe nfr war ein Herz + Luftröhre (Kehle), ev. auch Speiseröhre, was gemeinhin mit "schön" übersetzt wird, aber auch die Bedeutung von "wirksam, fruchtbringend" hatte. "Dein Herz ist schön (nfr) dank Ihr" (Maat-Litanei des Ammunrituals) ISIS: " Ich habe zum Gesetz erhoben, dass das Wahre für schön (nfr) gehalten wird" Für die Ägypter war der Begriff "Schönheit" nicht oberflächlich, es handelte sich eher um eine innige Vereinigung mit der Maat.


Das Herz galt als der Ort der sittlichen Entscheidungen. (Das Gehirn diente nur dazu, die Nase zu befeuchten). Die Maat ermöglichte die richtige Verbindung zwischen Herz und Kehle. Horappollon " Ein Menschenherz, das mit der Kehle verbunden ist, bedeutet einen Mund eines guten Menschen." Die vermittelnde Position der Maat zwischen "Herz" und "Zunge" war von grosser Bedeutung für die ägyptische Auffassung von Schöpfung und Natur. Vor dem Gegensatz, der Trennung von Herz und Zunge, warnte ausdrücklich die Lebenslehre des Amenemope. Dieser Bruch wird durch falsche Rede, was den Göttern ein Abscheu ist, verursacht. "Bei falschen Eiden entfernt sich das Herz von seinem (Platz im) Leibe."


Der Meineid bedeutet die Vernichtung der Maat = der richtigen Beziehung zwischen Herz und Zunge. Isis: " Ich habe nichts furchtbareres als den Eid geschaffen" In Ritualformeln wird Maat auch als neferet (nfr.t) bezeichnet. Wenn nfr.t als Epitheton zu Wörtern, die Maat als "Kehle" angeben, steht, könnte man es am Besten mit "fungierend" übersetzen. "Dein Herz fungiert dank ihr" = die richtige Verbindung zwischen Herz und Kehle durch die Maat als Speiseröhre/Luftröhre. Osiris "lebt durch die neferu (nfrw) der Maat". nfrw = "Schöne Lebenskraft", "Güter", "guter Charakter" auch "Königsmacht", "Krone" Die Maat war es, die den Pharao befähigte, die richtige Ordnung der Schöpfung durch Ihren Laut "hu" (schöpferischer Ausruf) am Leben zu erhalten. (Frankfort,61) Im ägyptischen Kult war der Pharao der Vertreter der ganzen Menschheit. Das Königtum galt als Garantie der Weltordnung. So war die Maat in den Krönungsritualen die Opfergabe schlechthin. Unzählige Szenen, die das grundlegende Maatopfer darstellen, bilden das Maatsymbol, vom König getragen, vor dem Gesicht des Gottes ab. "Man lebt von Ihrem Anblick" Zwischen dem Pharao (als Vertreter der Welt) und dem Gott bestand eine Schicksalsgemeinschaft: Beide bedurften der Maat, denn sie lebten durch sie und von Ihr. "Maat ist zur Seite des Amun, des Alten, ohne sich von ihm zu entfernen in seiner Zeit. Er hat die Orakelworte aus Ihrem Mund eingeholt seit der Urzeit." (Me`damoud Text Nr.22) Die Verbindung zwischen Gott und Göttin war nicht allein eine Familienbeziehung (Gemahlin, Tochter, Mutter, e.t.c.) Die Göttin war so eng mit dem Gott verbunden, dass sie als ein Teil des Gottes, wie - Körperglied - Schmuck - Machtzeichen, aufgefasst wurde.


Neb maat "Herr der Maat" ist nicht im Sinne von "beherrschen", sondern von "Teilhaftigkeit" zu verstehen. Das Machtverhältnis ist hierbei nicht entschieden, die Tendenz geht jedoch in Richtung Göttin. Neb-t maat "Herrin der Maat" lässt sich, soweit bekannt, nicht als Epitheton einer Göttin belegen. Die Göttinnen treten statt dessen selbst als Maat auf. Augustus, als er das Maatsymbol Amun darreicht: " Nimm dir die Maat, um dein Herz zu befriedigen, diese Deine Mert, die nicht von dir weichen wird. Die Speiseröhre ist vor dir jeden Tag, damit du alle Tage durch sie (und von Ihr) lebest" "Ich bin zu dir gekommen...(Ich bringe dir) deine Mert, die du liebst und die dich liebt, deine grosse Tochter, nach der dein Herz verlangt. Du bist der Herr der Maat, der von ihr (und durch sie) lebt, denn sie ist die Speise deiner Majestät alle Tage." Antwort des Amun: Willkommen!... Ich (nehme an) die Maat und mein Herz ist damit befriedigt. Ich lebe von ihr (und durch sie), wenn ich sie sehe. Ich gebe dir, dass die Maat mit Ägypten vereinigt sei und dass das Gute zur Zeit deiner Majestät groß sei" Die Vereinigung der Maat mit dem König hiess eine Vereinigung der Göttin mit den Untertanen, da der König Land und Leute verkörperte. Der urzeitliche Paradieszustand (wobei "urzeitlich" nicht im Sinne von "vergangen" sonder eher als "ursprünglich" zu verstehen ist) bedeutete die Vereinigung der Maat "die aus dem Himmel kam", mit "allen Göttern" und "denjenigen auf Erden". "Die alten Götter, die zuerst entstanden, die Maat lieben und mit Ihr zufrieden sind." "Maat kommt aus dem Himmel von Ra her; sie macht Ihren Platz in diesem Lande der Götter und der Göttinnen"

Die Maat als "kosmische Ordnung" zeigt sich auch in dem Bild der Göttin als "Herrin der Sonnenbarke" " die Pilotin der Sonnenbarke Mesektet" - "die Schöngesichtige im Schiff der Millionen" - " Maat, die die beiden Länder trennt am Bug des Sonnenschiffes" - "Die Ehrwürdige, die Starke, die Einzige, Herrin des Schreitens im Schiff der Millionen" - " Maat, die Grosse, am Bug der Sonnenbarke" Dies stellt sie wiederum mit der großen Isis zusammen, von der es hieß: "Du segelst die Sonnenbarke mit gutem Wind, in diesem, deinem Namen Maat". Die "Herrin der Schifffahrt" ist Isis, welche als Maat durch ihre Pläne, Weisungen und Befehle den ganzen Weltlauf regelt. "Isis-Maat am Bug des Sonnenschiffes, welche die Führung übernommen hat."

Zu Ihrer Seite: HU/HIKE "der göttliche Machtspruch" und SIA "das göttliche Wissen" Der Ihr zugesprochene Laut "hu" war personifiziert als der Gott HIKE, "der älteste des erhabenen Platzes des Uranfangs" (auch verbunden mit Sachmet) Kees, 1941 Er gilt als markantes Zeichen der schöpferischen Urgottheit, wodurch Maat, "die in der Urzeit vom Himmel herabgestiegene", auch zur Inhaberin der "Urkraft aller Dinge" wurde. Sargtext mit dem Titel "sich in Hike verwandeln": "Ich bin einer, den der Einherr schuf, ehe noch die Zweiheit in diesem Lande entstand. Ich bin Hike." (Der wahre Name und das innerste Wesen der Urgottheit sind auch für die Götter verborgen) In einem koptischen Text spricht Isis von Ihrem "wahren Namen, der die Sonne zum Westen trägt und den Mond zum Osten trägt und die sechs Versöhnungssterne trägt, die unter der Sonne stehen" Die kosmische Maat verwirklicht sich zur selben Zeit auf der sozialen u. sittlichen Ebene. Isis-Maat regelt am Bug der Sonnenbarke nicht nur die himmlische und unterweltliche Schifffahrt, sondern auch den Lebenswandel der Menschen.


Vor allem gilt sie, wie Ra, als letzte Rechtsinstanz der unschuldig Leidenden, Gekränkten und Benachteiligten. Die Ägypter stellten gern die Teile des Schiffes, wie die Körperglieder eines Gottes - und danach des Toten - mit verschiedenen Gottheiten oder ihren Gliedern zusammen. (die Verteilung der Glieder variiert sehr) Die Maat am Hals des Gottes war identisch mit der Maat am Bug der Sonnenbarke. " Was die Maat anlangt, ist sie die grosse Bürde (ta = tragen) des Gottes, und er gibt sie, "wem er will". Der Gott "trägt" die Maat. Das Maatamulett war das Amtsabzeichen des Veziers, der als Oberrichter auch den Titel "Prophet der Maat" trug. Nach der Symbolik war es somit "die Kehle" des Königs/Gottes, die anzeigte, dass es dem Richter gegeben war, Recht zu sprechen. "Ich habe die Maat festgemacht, wie ich das `Gold und Silber` festgemacht habe" (Das "Doppelherz aus Gold und Silber" war ein Ehrenschmuck hoher Beamter, welche als "Herz des Herrn des Palastes" dienten.) Die Befestigung der Maat setzte immer das Aufhören des chaotischen Zustands voraus. Jeder Pharao hatte die Aufgabe, die Maat in seiner Zeit zu verwirklichen . Das Königsprogramm war es, "die Isefet zu vertreiben und die Maat zu befestigen." (Isefet, als Gegenbegriff zur Maat, war Chaos, Unordnung, Missverhältnisse, Übles, Unrecht und Sünde). "Das Böse ist verschwunden, das Übel ist vergangen. Das Land ist unter seinem Herrn in Frieden. Die Maat steht für Ihren Herrn fest, und man hat dem Chaos den Rücken gekehrt" Beim Geben und Nehmen der Maat im Wechselspiel zwischen Gott und König handelte es sich sozusagen um das Schicksal der Welt.


Für die Ägypter war die Zeit nicht linear, sondern ein Kreis. Nach der zyklischen Auffassung der Welt und der Geschichte wurden Seth und sein Anhang, wie die Apophisschlange und ihre Verwandten, nie endgültig vernich-tet, sondern tauchen in jeder "Interimzeit" (Tage, Jahreszeiten, Jahre, Regierungen, Dynastien oder noch grössere Zeitepochen) aufs neue auf und beherrschen dann momentan das Feld. Menschenfresserei und allgemeines Töten waren Zeichen für solche chaotischen Zwischenzeiten.

"Während ganz Oberägypten Hungers starb und jedermann seine Kinder auffraß, habe ich es so bestellt, dass niemand in diesem Gau vor Hunger sterben musste." (Grab des Anchtifi ,1.Zwischenzeit) "... man hat wegen des Hungers angefangen, Männer und Weiber aufzufressen." (Brief des Hekanacht) " Einer erschlägt den anderen, und man übertritt so, was du befohlen hast... Die Vielen sind es, die die wenigen töten." (Adamonitions, Taf. 12,13)


Besonders die Epagomentage, eine gefährlichen Zwischenzeit, die außerhalb des Jahres, d. h. der geordneten Zeit fiel, waren gefürchtet. Das Chaos nimmt dabei kosmische Dimensionen an. Die dann verheerenden kosmischen Mächte waren "die schlachtenden Begleiter der Sachmet..., welche Gemetzel anstiften und Chaos erschaffen. Auf einem Monument in Neapel trägt Sachmet die Bezeichnung "Maat, die Grosse".

Die Ägypter fanden es natürlich, durch das Nebeneinander - auch untereinander strittiger Vorstellungen - den Reichtum des göttlichen Wesens und die Fülle seiner Handlungsweisen zu beleuchten.

Sowohl Gott als auch Göttin können, gemäss Ihrer urgöttlichen Natur, in sich die beiden Geschlechter - wie andere Gegensätze - vereinigen. Sie stehen als "transzendente" Gottheiten über solchen, mit der Schöpfung gegebenen Spaltungen. Gleichzeitig sind sie durchaus "immanent" - in ganz bestimmten Rollen und gegenseitigen Verbindungen. Zusätzlich sind diese Beziehungen aber nicht bindend, sondern können leicht wechseln, oder "transzendieren".


In Ihrem zweifachen Ausdruck "MAATI" (die beiden Maat/die doppelte Maat) verkörperte die Maat die gute Balance von zwei Größen = das rechte Verhältnis. Das Schaffen/Erhalten dieses gut abgewogenen Verhältnisses kann sowohl als ein "trennen", als auch als ein "vereinen" betrachtet werden. In der Balance, in der Vereinigung der beiden Länder/der beiden Welten/der beiden Mächte, nicht in der Unterdrückung, Verdrängung oder Vernichtung des einen Teils, sah der Ägypter das ideale Verhältnis = Maat


Einer der Hauptplätzeder Maat war auch im "Saale der Wahrheit", dem Gericht. Ihr Gatte, Thoth, galt als Vorbild des Richters und sein Titel "Oberrichter" wird in den Inschriften häufig genannt.

Es durften keine Menschen getötet werden, mit Ausnahme derer, die "außerhalb der Maat standen". Als solche galten z.B. Aufrührer und Rebellen. ( Osiris war alles Töten, selbst des kleinsten Gewürms, verhasst).

Thot galt auch als Manifestation des göttlichen Wortes , während die Maat "deren Wort Wahrheit ist" die Kraft war, welche bewirkte, dass sich alles, was ausgesprochen wurde, verwirklichte. "Das Wort erschafft alle Dinge... Nichts ist, bevor es nicht mit klarer Stimme geäussert worden ist." (Seligmann,39)

Götter, welche bei den Ägyptern gänzlich in Menschengestalt dargestellt wurden, waren oft eher eine Abstraktion, denn eine "richtige" Gottheit. So könnte man die Maat auch eine unstoffliche Personifizierung eines Idealbildes von Ordnung, an die sich Menschen, Könige und Götter halten mussten, sehen. Die Göttin hatte keinen eigenen Tempel oder Kult - obwohl sie Teil vieler kultischer Handlungen war. Es gab allerdings den Tempel von Der-el-Medineh "die Stätte der Wahrheit" in der Nekropolis auf der linken Seite der alten Stadt Theben (Luxor), welcher als ein irdisches Abbild des unterirdischen Gerichtssaales angesehen werden kann und in Hermopolis ein Heiligtum mit der Benennung A-maat "Stätte der Maat".

Zitat aus "Die Erste Pharaonin" von Susan von Ghyczy:
"Der andere Weg bin ich, Hatschepsut Maat-ka-re. Mein verewigter Vater hat mich zur Thronerbin gemacht. Ich werde den Willen meines Vaters erfüllen und mich zur Alleinherrscherin krönen lassen. Bei der Krönung wirst du an meiner Seite stehen."
"Das Schicksal der Völker liegt in Gottes Hand", sagte Intef. "Ich werde mich Eurem Wunsch beugen und zu ihm beten. Er möge das Land vor einem Bürgerkrieg bewahren."
"Warum hast du einfach Gott gesagt, warum nicht Ptah oder Re? Antworte mir, wer ist der höchste Gott in Ägypten?"
"Ich möchte die Frage Eurer Majestät in einer anderen Form beantworten", sagte er. "Wer von den sichtbaren Göttern Ägyptens den ersten Platz einnahm, dessen Name änderte sich mit den Zeiten und wird sich auch in Zukunft ändern. Das höchste Prinzip aber, nach dem jeder Pharao in jeder Zeit handeln muss, bleibt immer das gleiche. Das ist die 'Maat'. Solange die 'maat' über Ägypten herrscht, ist auch die Herrschaft des Pharao gut."
"Ich kenne Maat, die Göttin der Wahrheit, ich trage doch ihren Namen. Aber du sprichst nicht von ihr."
"Ja und nein. Die Göttin ist nur die Verkörperung dieses Begriffes, den wir 'maat' nennen: 'Maat' ist alles, was gut ist. Alles ist gut, was gerecht ist. Und gerecht ist das, was sich harmonisch in die göttliche Ordnung einfügt. Wache also über die Ordnung in deinem Land, regiere so, das jeder sein Recht bekommt, und du wirst gut regieren."


Vielleicht könnte die Achtung vor der Maat, welche sich auf die gesamten ethischen und juristischen Normen der ägyptischen Gesellschaft übertrug und diese regelte, als Ihr "Kult" betrachtet werden. Sie ist es, die das kosmische Gleichgewicht und die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen regelt und verkörpert, die mit der Schöpfung gegebene Ordnung und der nach der Natur der Dinge richtige Zustand - auf ganz verschiedenen Gebieten. Sie ist die Norm, sowohl für die Natur als auch für die Menschheit. Sie regelt das kosmische Geschehen und das Leben der Natur, aber auch die sozialen und sittlichen Verhältnisse. Ohne Maat war nach ägyptischer Betrachtungsweise überhaupt keine Existenz möglich. "Wer aus Ihr heraustritt, entfällt dem Sein", (bzw. wer und was....) "Sie ist das Symbol für die Einhaltung der höchsten Ordnung natürlicher und ethischer, kosmischer und sozialer Harmonie, die sich in der Befolgung einer Reihe von ethischen, juristischen und rituellen Gesetzen äussert, sich aber nicht in ihnen erschöpft."

Quellen:      Brugsch, "Religion und Mythologie der alten Ägypter"

Walker, "Die geheimen Symbole der Frauen"

Monaghan "Lexikon der Göttinnen"

Bergmann "Ich bin Isis"

Betro` "Heilige Zeichen"

© 2001 Marion Kapsch. Erstveröffentlichung im Magazin "Hinkelstein"



© 2001 Bastet und Tefnut Iseum